Sonntag, 9. Juni 2013

Die GEMA und der böse Wolf


Es war einmal...
... eine Verwertungsgesellschaft, genannt GEMA. Die schrieb sich auf die Fahnen, die Rechte der Musikschaffenden zu schützen, indem sie Lizenzen für deren Nutzung verteilte und die Tantiemen an ihre Macher zurückzahlte. Die Verbraucher zahlten für den musikalischen Genuss, die KünstlerInnen bekamen ihr Geld, das Urheberrecht hatte eine legitime Stimme. Alle waren glücklich und zufrieden.Und dann kam der böse Wolf: Das Internet. Zunächst im Schafspelz sah die Musikindustrie im weltweiten Netz eine riesige Plattform zur Verbreitung ihres geistigen Gutes. Plötzlich war Musik immer und überall verfügbar – aber auch beliebig oft zu vervielfältigen, denn das geistige Eigentum, das einst an materielles (CD / Vinyl) gebunden war, wurde digital. Im (noch) herrschaftsfreien Raum Internet schossen Musiktauschbörsen wie Pilze aus dem Boden und auf Video-Plattformen wie youtube konnten User ohne sich um die Rechte der Musikschaffenden zu kümmern ihre Lieblingssongs und die dazugehörigen Originalvideos streamen (vgl. Gebhardt 2006). Die Musikindustrie verlor Millionen. Der Wolf zeigte seine Zähne.

Das ist nun etwa fünfzehn Jahre her. Und ganz so märchenhaft positiv wurde die GEMA auch vor dem Einzug des Internets in deutsche Wohnzimmer nicht gesehen. So war sie beispielsweise in den späten 80er Jahren in Rechtestreitigkeiten mit ihren Mitgliedern verwickelt. Einer von ihnen – Bertold Paul – wurde sogar aus der Mitgliedschaft ausgeschlossen. Der Streit war entbrannt „weil die Künstler bei öffentlichen Konzerten angeblich 'systematisch eigene Werke aufgeführt' und dadurch 'unverhältnismäßige Gewinne' erzielt hätten“ (Spiegel 1990). Hier musste sie eine Niederlage einstecken und schließlich die nicht gezahlten Tantiemen nachträglich an die Mitglieder überweisen1. Auch heute sind manche Vorstöße der GEMA, die nichts mit dem World Wide Web zu tun haben, umstritten. Das zeigt zum Beispiel die Diskussion um eine durch die GEMA angestrebte Vergabe von Lizenzrechten für Kinderlieder in Kindergärten, die 2010 aufkam2.
Kommentar eines SZ-Online-Lesers zur Kita-Gebühr der Gema. Nicht jeder Kommentar bleibt so sachlich. (Quelle: SZ online 27.12.2010)    

Das Tun der GEMA war und ist also keinesfalls unumstritten. Mit ihren Bestrebungen die Rechte ihrer Mitglieder auch im Internet besser schützen, rückte jedoch die Perspektive der Nutzer und Nutzerinnen von Musik stärker in den Mittelpunkt (Tsoumita 2000). Um dies zu verstehen, soll nun zunächst das Internet als Kommunikationsraum mit seinen Besonderheiten und Potenzialen genauer beschrieben werden.

Das Internet als herrschaftsfreier Raum

Auf das Internet wurden anfangs große Hoffnungen projiziert. Dies soll hier mit Hilfe des Strukturwandels der Öffentlichkeit nach Habermas aus seiner Habilitationsschrift 1962 argumentiert werden. Habermas nimmt an, dass sich Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts eine bürgerliche Öffentlichkeit als Pendant zur Obrigkeit etabliert. Diese kommt in den Kaffehäusern zusammen und diskutiert zunächst unpolitische, später zunehmend politische Belange. Egalitär und rational wird dem Gemeinwohl entsprechend eine Lösung im Diskurs gesucht. Dies ist sein Ideale Idee einer Öffentlichkeit, die er bürgerliche Öffentlichkeit, oder Diskursöffentlichkeit nennt. Er nimmt weiterhin an, dass durch das Aufkommen der Massenpresse im 18. und 19. Jahrhundert die bürgerliche Öffentlichkeit zerfällt, indem nun Unterhaltung und kommerzielle Interessen im Vordergrund stehen und die Stimme des Einzelnen nun nicht mehr gehört werden kann. Wimmer (2007) greift dieses normative Modell auf und überprüft es hinsichtlich seiner Verwendbarkeit zur Analyse von Öffentlichkeiten. Er definiert Öffentlichkeit als "allen Interessierten offenstehender Kommunikationsraum, indem sich über vernunftgeleitete Diskussionen öffentliche Meinung konstituieren kann" (Wimmer 2007: 72).
Das Internet wurde von vielen mit der Hoffnung verbunden, endlich diesen für alle frei zugänglichen Kommunikationsraum gefunden zu haben, den Habermas für sein normatives Modell der Diskursöffentlichkeit vor Augen hatte. Jeder ist in diesem Raum gleichberechtigt, jeder Mensch hat die gleiche Möglichkeit zur Artikulation. Diskurse können demnach herrschaftsfrei stattfinden. Krotz beschreibt dann das Internet als Lebenswelt von Menschen, „die auch 'dort' an Öffentlichkeit und Demokratie partizipieren und zu Entscheidungen beitragen wollen" (2012: 62) und weiterhin muss das Internet „als Ressource begriffen werden, die die Handlungspotenziale der Menschen relevant erweitert" (ebd.: 62).
Zwar halten die normativen Hoffnungen in der Realität nicht vollständig stand. Jedoch wird das Internet weiterhin als „demokratisches Medium“ gesehen, dass die Ausbildung und das Bestehen von Gegenöffentlichkeiten ermöglicht (vgl. Krotz). Der prinzipiell freie Zugang für jeden und jede sowie die universelle Verfügbarkeit von Informationen wird als hohes Gut betrachtet, für das sich verschiedene Vereine, Verbände und Parteien einsetzen3. Mitgedacht wird in diesen Organisationen oft auch der freie Zugang Werken aus der Kunst, wie Fotografien oder auch Musik. Um an dieser Stelle die Metapher von oben wieder aufzugreifen: Sie schätzen die Unbezähmbarkeit des Internet als Grundlage für demokratisches Handeln und sehen in der Beschränkung des freien Surfens, durch Sperrtafeln statt Genuss des gewünschten Musikvideos, eine Domestizierung des stolzen, freien Wolfes zum zahnlosen Schoßhündchen. Vor allem aber fühlen sie sich wohl in ihren eigenen Rechten als freie Nutzer eines freien Internets eingeschränkt. Doch kann das Urheberrecht im Internet nur durch Restriktion durchgesetzt werden und welche Rolle spielt hier die GEMA?

Das Urheberrecht

Es scheint, als würde in der Diskussion über die freie Zugänglichkeit von Informationen und - hier im besonderen behandelt - von musikalischen Werken, ein grundlegender Gegenstand der Verhandlungen von voreiliger Polemik und nicht-reflektierten Argumenten in den Hintergrund gedrängt: das eigentlich schützenswerte Urheberrecht4. „Das Urheberrecht schützt den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes. Es dient zugleich der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes“ (Abschnitt 4 §11 UrhG). Es sichert jedem, der in irgendeiner Weise ein nicht-materielles Produkt schafft zu, auch über dieses zu verfügen und zwar in dem Umfang, wie er/sie es für richtig hält und schafft außerdem Sicherheit vor ungerechtfertigter Verwendung dieses geistigen Eigentums durch Dritte. „Der Urheber hat das Recht, sein Werk in körperlicher Form zu verwerten; das Recht umfasst das Vervielfältigungsrecht (§ 16 UrhG), das Verbreitungsrecht (§ 17UrhG), das Ausstellungsrecht (§ 18UrhG).[Aufzählung im Original]“ (Riegger, 2012). Das Urheberreht kann dabei nicht an andere übertragen werden, sondern lediglich von einem anderen wahrgenommen werden, wenn der Urheber das zulässt (§29 UrhG).
Die Werke eines Urhebers sind also grundsätzlich durch das Urheberrecht geschützt, und zwar unabhängig von der Mitgliedschaft in einer Verwertungsgesellschaft wie der GEMA. Aber es befindet sich in einem Spannungsverhältnis zwischen Werkschöpfung und Werknutzung, denn sobald der Urheber eines Werkes dieses fertiggestellt hat, kann und in den meisten Fällen will er es auch mit anderen teilen, indem er es selbst vorführt oder verbreitet (Schurk 2008: 19ff.). Und hier kommt die GEMA ins Spiel.

Zurück zur GEMA

Das grobe Alltagsverständnis sagt uns: Irgendwie will die GEMA die eben beschriebenen Rechte von MusikerInnen schützen. Sie tut das aber nicht als übergestellte Instanz, sondern ist als Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte ein Verein. Als solcher nimmt sie die Rechte ihrer Mitglieder wahr, sie werden ihr aber nicht übertragen. Das heißt, die GEMA fungiert als eine „staatlich anerkannte Treuhänderin“ für Urheber von musikalischen Werken und schützt die Rechte ihrer Mitglieder5. Grundsätzlich sei sie also „notwendig für die Effizienz der Verwirklichung der Urheberrechte (Lerche 2008: 27) , denn: „Kein Komponist, Textdichter oder Musikverleger kann allerdings selbst in ausreichendem Maß überprüfen, wo, wann, wie oft und wie lange seine Titel verwendet werden. Zudem kann sich der Einzelne nicht darum kümmern, dass er die Entlohnung für seine Leistung auch tatsächlich erhält“6. Hier wird der Wahrnehmungszwang (§ 6) und Abschlusszwang (§ 11) aktiv, dem die Verwertungsgesellschaften in Deutschland unterliegen. Das heißt, „dass Verwertungsgesellschaften einerseits alle ihr von ihren Mitgliedern übertragenen Rechte auch tatsächlich verfolgen müssen, und andererseits keinem Komponisten, Textdichter oder Musikverleger den Eintritt in die Verwertungsgesellschaft verwehren dürfen, solange alle Kriterien zur Aufnahme erfüllt sind.“7
Um die eben beschriebenen Privilegien zu genießen, muss der einzelne Musikschaffende Mitglied beid er GEMA werden. Das steht prinzipiell allen KomponistInnen, TextdichterInnen, VertonerInnen von Texten oder MusikverlegerInnen frei.

Kritik an der GEMA – noch ganz ohne Internet

Zwar kann jeder Mitglied werden, allerdings sind einige Kontexte dabei zu beachten sind. Erstens ist die Mitgliedschaft in der GEMA nicht kostenfrei. So muss eine Aufnahmegebühr8 sowie ein jährlicher Mitgliedsbeitrag9 an die GEMA bezahlt werden. Zweitens ist zu beachten, dass Mitglieder ihre Rechte an die GEMA abgetreten haben. Sie müssen also auch dann Lizenzrechte bei ihr einholen, wenn sie ihre eigenen Werke aufführen oder auf Tonträgern veröffentlichen. Auch dafür sind dann Gebühren zu zahlen. So ist drittens eine Mitgliedschaft erst dann sinnvoll ist, „wenn eigene Musikstücke im laufenden Kalenderjahr in einem bestimmten Umfang öffentlich aufgeführt, im Radio oder Fernsehen gesendet oder von Dritten auf im Handel erhältlichen (Bild-)Tonträgern veröffentlicht werden oder wenn solche gewerblichen Verwertungen unmittelbar bevorstehen.“ Darauf weist die GEMA selbst auf ihrer Website hin10 . Des Weiteren gibt es drei Stufen der Mitgliedschaft
Des Weiteren vertritt die GEMA zwar insgesamt 65.000 Mitgliedern (Komponisten, Textautoren und Musikverleger) sowie von über zwei Millionen Rechteinhabern aus aller Welt11.
Nur ein kleiner Teil von Ihnen (3400) haben den Status einer "ordentlichen Mitgliedschaft". Die meisten (54000) sind angeschlossene Mitglieder, die erst nach drei Jahren "außerordentliche Mitglieder" werden können. Faktisch wird also die einfache Mitgliedschaft schon geprüft, die tatsächliche erfolgt erst Jahre später12. So muss das Argument der GEMA als entkräftet angesehen werden, dass sie sich prinzipiell für die Rechte ALLER Urheberinnen und Urheber einsetze.

Zwischenfazit

Das Problem, Urheberrechte durchzusetzen, ist also keines, das erst seit der Etablierung des Internets virulent ist. Auch früher schon konnte geistiges Eigentum in diesem Sinne „gestohlen“ werden. Denken wir nur daran zurück, wie wir als Kind einmal den Lieblingssong mit dem Kassettenrekorder aus dem Radio mitgeschnitten haben. Gleiches gilt für unsere Elterngeneration, die gleiches mit dem Tonbandgerät taten. Auch damals gab es schon die GEMA, die solchen Urheberrechtsverletzungen einen Riegel vorschieben wollte (vgl. Lerche 2008). Die anhaltenden Streitigkeiten zwischen der GEMA und youtube sowie die Positionierung der Internetnutzerinnen und Nutzer, aber auch der Musikschaffenden zu ihnen, sind also als ein Beispiel für den Disput zu sehen, der schon immer nicht die prinzipielle Notwendigkeit einer Institution zur Durchsetzung der Urheberrechte, wohl aber das Vorgehen der GEMA dahingehend in Frage gestellt haben. Mit der Digitalisierung und der Medienkonvergenz im Internet hat dieser Streit nur eine neue Ebene erreicht, weil nun auch den Nutzerinnen und Nutzer eine Plattform gegeben ist und grundsätzlich die Wirksamkeit des deutschen Urheberrechts, das Grundlage für die Arbeit der GEMA ist, in einem weltweiten Netzwerk in Frage gestellt werden muss.

Almira Puckel

Fußnoten


1 Siehe hierzu einen Artikel aus dem Spiegel: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13499802.html [06.06.2013]. 
2 Siehe hierzu einen Artikel aus dem Fokus: http://www.focus.de/finanzen/news/gema-kritik-an-kinderlieder-gebuehr_aid_585392.html [01.06.2013]. 
3 Zu nennen wären hier die Piratenpartei, die etwa eine Reform der GEMA anstrebt (http://wiki.piratenpartei.de/GEMA-Reform [06.06.2013]), der Verein digitale gesellschaft e.V, der sich für bürgerrechts- und verbraucherfreundliche Netzpolitik einsetzt (https://digitalegesellschaft.de/uber-uns/ [06.06.2013]., aber auch Organisationen wie WikiLeaks, die freie Informationen für alle fordert (http://wikileaks.org/About.html [06.06.2013]) 
4 Siehe hierzu eine Stellungnahme der Vereine Wikimedia Deutschland e.V., Digitale Gesellschaft e.V., Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. 2011.




8 Urheber zahlen inkl. USt 60,84 €, Musikverleger 121,69 €, vgl. https://www.gema.de/musikurheber/neu-hier/mitglied-werden.html [01.06.2013].

9 Einheitlich 25,56 € für alle Mitglieder, vgl. https://www.gema.de/musikurheber/neu-hier/mitglied-werden.html [01.06.2013].




Quellen

Digitale Gesellschaft (2011): Pressemitteilung: Urheberrech für das 21. Jahrhundert schaffen. Artikel verfügbar unter: https://digitalegesellschaft.de/2011/11/pressemitteilung-urheberrecht-21-jahrhundert/ [04.06.2013].

Gebhardt, Bettina (2006): Musikdownloads von Jugendlichen. Eine empirische Studie zur Zukunft der Musikindustrie. Köln: Lohmar.

GEMA. Musikurheber. 10 Fragen, 10 Antworten. Artikel verfügbar unter: https://www.gema.de/de/musikurheber/10-fragen-10-antworten.html [31.05.2013].

Habermas, J., 1996: Strukturwandel der Öffentlichkeit, Suhrkamp Verlag
 
Kreile, Reinhold; Becker, Jürgen; Riesenhuber, Karl (2008): Recht und Praxis der Gema. 2.Auflage. Berlin: de Gruyter Rechtswissenschaftsverlag.

Krotz, Friedrich (2013): WikiLeaks, Flashmops und Co. In Filipovic, Alexander; Jäckel, Michael; Schicha, Christian (Hrsg.): Medien und Zivilgesellschaft. Weinheim/Basel: Juventa: 57-68.

Lerche, Peter (2008). Die Eigentümlichkeiten der Verwertungsgesellschaften. In: Kreile, Reinhold; Becker, Jürgen; Riesenhuber, Karl (Hrsg.): Recht und Praxis der Gema. 2.Auflage. Berlin: de Gruyter Rechtswissenschaftsverlag. 26-32.

Riegger (2012): Grundlagen des Urheberrechts im Musikbusiness. Präsentation verfügbar unter: http://ra-riegger.de/downloads.html [01.06.2013].

Schunke, Sebastian (2008): Das Bearbeitungsrecht in der Musik und dessen Wahrnehmung durch die Gema. Berlin: de Gruyter Rechtswissenschaftsverlag.

Süddeutsche Zeitung (2010): Schöner die Kassen nie klingeln. Artikel verfügbar unter: http://www.sueddeutsche.de/kultur/kitas-gema-gebuehren-fuer-liedkopien-schoener-die-kassen-nie-klingeln-1.1040405?commentspage=all:2:#comments [01.06.2013].

Tsoumita, Maria (2000): Die Lizensierung von Multimediawerken durch die GEMA. Hamburg: Diplomica Verlag.

Urheberrecht. Verfügbar unter; http://www.gesetze-im-internet.de/urhg/BJNR012730965.html [04.06.2013].

Wikimedia Deutschland e.V., Digitale Gesellschaft e.V., Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. (2011): Was zu tun wäre: Ein Urheberrecht für das 21. Jahrhundert. Artikel verfügbar unter: https://digitalegesellschaft.de/wp-content/uploads/2011/11/Urheberrecht-Gemeinsames-Positionspapier-Wikimedia-Deutschland-Digitale-Gesellschaft-Open-Knowledge-Foundation-Deutschland.pdf [03.06.2013].

Wimmer, Jeffrey (2007). (Gegen-)Öffentlichkeit in der Mediengesellschaft. Analyse eines medialen Spannungsverhältnisses. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

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