Es
war einmal...
...
eine Verwertungsgesellschaft, genannt GEMA. Die schrieb sich auf die
Fahnen, die Rechte der Musikschaffenden zu schützen, indem sie
Lizenzen für deren Nutzung verteilte und die Tantiemen an ihre
Macher zurückzahlte. Die Verbraucher zahlten für den musikalischen
Genuss, die KünstlerInnen bekamen ihr Geld, das Urheberrecht hatte
eine legitime Stimme. Alle waren glücklich und zufrieden.Und dann
kam der böse Wolf: Das Internet. Zunächst im Schafspelz sah die
Musikindustrie im weltweiten Netz eine riesige Plattform zur
Verbreitung ihres geistigen Gutes. Plötzlich war Musik immer und
überall verfügbar – aber auch beliebig oft zu vervielfältigen,
denn das geistige Eigentum, das einst an materielles (CD / Vinyl)
gebunden war, wurde digital. Im (noch) herrschaftsfreien Raum
Internet schossen Musiktauschbörsen wie Pilze aus dem Boden und auf
Video-Plattformen wie youtube konnten User ohne sich um die Rechte
der Musikschaffenden zu kümmern ihre Lieblingssongs und die
dazugehörigen Originalvideos streamen (vgl. Gebhardt 2006). Die
Musikindustrie verlor Millionen. Der Wolf zeigte seine Zähne.
Das
ist nun etwa fünfzehn Jahre her. Und ganz so märchenhaft positiv
wurde die GEMA auch vor dem Einzug des Internets in deutsche
Wohnzimmer nicht gesehen. So war sie beispielsweise in den späten
80er Jahren in Rechtestreitigkeiten mit ihren Mitgliedern verwickelt.
Einer von ihnen – Bertold Paul – wurde sogar aus der
Mitgliedschaft ausgeschlossen. Der Streit war entbrannt „weil die
Künstler bei öffentlichen Konzerten angeblich 'systematisch eigene
Werke aufgeführt' und dadurch 'unverhältnismäßige Gewinne'
erzielt hätten“ (Spiegel 1990). Hier musste sie eine Niederlage
einstecken und schließlich die nicht gezahlten Tantiemen
nachträglich an die Mitglieder überweisen.
Auch heute sind manche Vorstöße der GEMA, die nichts mit dem World
Wide Web zu tun haben, umstritten. Das zeigt zum Beispiel die
Diskussion um eine durch die GEMA angestrebte Vergabe von
Lizenzrechten für Kinderlieder in
Kindergärten, die 2010 aufkam.
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Kommentar eines SZ-Online-Lesers zur Kita-Gebühr der Gema. Nicht jeder Kommentar bleibt so sachlich. (Quelle: SZ online 27.12.2010) | | | | |
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Das
Tun der GEMA war und ist also keinesfalls unumstritten. Mit ihren
Bestrebungen die Rechte ihrer Mitglieder auch im Internet besser
schützen, rückte jedoch die Perspektive der Nutzer und Nutzerinnen
von Musik stärker in den Mittelpunkt (Tsoumita 2000). Um dies zu
verstehen, soll nun zunächst das Internet als Kommunikationsraum mit
seinen Besonderheiten und Potenzialen genauer beschrieben werden.
Das
Internet als herrschaftsfreier Raum
Auf
das Internet wurden anfangs große Hoffnungen projiziert. Dies soll
hier mit Hilfe des Strukturwandels der Öffentlichkeit nach Habermas aus seiner Habilitationsschrift 1962 argumentiert werden. Habermas nimmt an, dass sich Ende des 16.
und Anfang des 17. Jahrhunderts eine bürgerliche Öffentlichkeit als
Pendant zur Obrigkeit etabliert. Diese kommt in den Kaffehäusern
zusammen und diskutiert zunächst unpolitische, später zunehmend
politische Belange. Egalitär und rational wird dem Gemeinwohl
entsprechend eine Lösung im Diskurs gesucht. Dies ist sein Ideale
Idee einer Öffentlichkeit, die er bürgerliche Öffentlichkeit, oder
Diskursöffentlichkeit nennt. Er nimmt weiterhin an, dass durch das
Aufkommen der Massenpresse im 18. und 19. Jahrhundert die bürgerliche
Öffentlichkeit zerfällt, indem nun Unterhaltung und kommerzielle
Interessen im Vordergrund stehen und die Stimme des Einzelnen nun
nicht mehr gehört werden kann. Wimmer (2007) greift dieses normative
Modell auf und überprüft es hinsichtlich seiner Verwendbarkeit zur
Analyse von Öffentlichkeiten. Er definiert Öffentlichkeit als
"allen
Interessierten offenstehender Kommunikationsraum, indem sich über
vernunftgeleitete Diskussionen öffentliche Meinung konstituieren
kann" (Wimmer 2007: 72).
Das
Internet wurde von vielen mit der Hoffnung verbunden, endlich diesen
für alle frei zugänglichen Kommunikationsraum gefunden zu haben,
den Habermas für sein normatives Modell der Diskursöffentlichkeit
vor Augen hatte. Jeder ist in
diesem Raum gleichberechtigt, jeder Mensch hat die gleiche
Möglichkeit zur Artikulation. Diskurse können demnach
herrschaftsfrei stattfinden. Krotz beschreibt dann das Internet als
Lebenswelt
von Menschen, „die auch 'dort' an Öffentlichkeit und Demokratie
partizipieren und zu Entscheidungen beitragen wollen" (2012: 62)
und weiterhin muss das Internet „als Ressource begriffen werden,
die die Handlungspotenziale der Menschen relevant erweitert"
(ebd.: 62).
Zwar
halten die normativen Hoffnungen in der Realität nicht vollständig
stand. Jedoch wird das Internet weiterhin als „demokratisches
Medium“ gesehen, dass die Ausbildung und das Bestehen von
Gegenöffentlichkeiten ermöglicht (vgl. Krotz). Der prinzipiell freie Zugang für
jeden und jede sowie die universelle Verfügbarkeit von Informationen
wird als hohes Gut betrachtet, für das sich verschiedene Vereine,
Verbände und Parteien einsetzen.
Mitgedacht wird in diesen Organisationen oft auch der freie Zugang
Werken aus der Kunst, wie Fotografien oder auch Musik. Um an dieser
Stelle die Metapher von oben wieder aufzugreifen: Sie schätzen die
Unbezähmbarkeit des Internet als Grundlage für demokratisches
Handeln und sehen in der Beschränkung des freien Surfens, durch
Sperrtafeln statt Genuss des gewünschten Musikvideos, eine
Domestizierung des stolzen, freien Wolfes zum zahnlosen
Schoßhündchen. Vor allem aber fühlen sie sich wohl in ihren
eigenen Rechten als freie Nutzer eines freien Internets
eingeschränkt. Doch kann das Urheberrecht im Internet nur durch
Restriktion durchgesetzt werden und welche Rolle spielt hier die
GEMA?
Das
Urheberrecht
Es
scheint, als würde in der Diskussion über die freie Zugänglichkeit
von Informationen und - hier im besonderen behandelt - von
musikalischen Werken, ein grundlegender Gegenstand der Verhandlungen
von voreiliger Polemik und nicht-reflektierten Argumenten in den
Hintergrund gedrängt: das eigentlich schützenswerte Urheberrecht.
„Das Urheberrecht schützt den Urheber in seinen geistigen und
persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes. Es
dient zugleich der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die
Nutzung des Werkes“ (Abschnitt 4 §11 UrhG). Es sichert jedem, der
in irgendeiner Weise ein nicht-materielles Produkt schafft zu, auch
über dieses zu verfügen und zwar in dem Umfang, wie er/sie es für
richtig hält und schafft außerdem Sicherheit vor ungerechtfertigter
Verwendung dieses geistigen Eigentums durch Dritte. „Der
Urheber hat das Recht, sein Werk in körperlicher Form zu verwerten;
das Recht umfasst das
Vervielfältigungsrecht (§ 16 UrhG), das Verbreitungsrecht (§
17UrhG), das Ausstellungsrecht (§ 18UrhG).[Aufzählung im Original]“
(Riegger, 2012). Das Urheberreht kann dabei nicht an andere
übertragen werden, sondern lediglich von einem anderen wahrgenommen
werden, wenn der Urheber das zulässt (§29 UrhG).
Die
Werke eines Urhebers sind also grundsätzlich durch das Urheberrecht
geschützt, und zwar unabhängig von der Mitgliedschaft in einer
Verwertungsgesellschaft wie der GEMA. Aber es befindet sich in einem
Spannungsverhältnis zwischen Werkschöpfung und Werknutzung, denn
sobald der Urheber eines Werkes dieses fertiggestellt hat, kann und
in den meisten Fällen will er es auch mit anderen teilen, indem er
es selbst vorführt oder verbreitet (Schurk 2008: 19ff.). Und hier
kommt die GEMA ins Spiel.
Zurück zur GEMA
Das
grobe Alltagsverständnis sagt uns: Irgendwie will die GEMA die eben
beschriebenen Rechte von MusikerInnen schützen. Sie tut das aber
nicht als übergestellte Instanz, sondern ist als Gesellschaft für
musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte
ein Verein. Als solcher nimmt sie die Rechte ihrer Mitglieder wahr,
sie werden ihr aber nicht übertragen. Das heißt, die GEMA fungiert
als eine „staatlich anerkannte Treuhänderin“ für Urheber von
musikalischen Werken und schützt die Rechte ihrer Mitglieder.
Grundsätzlich sei sie also „notwendig für die Effizienz der
Verwirklichung der Urheberrechte (Lerche 2008: 27) , denn: „Kein
Komponist, Textdichter oder Musikverleger kann allerdings selbst in
ausreichendem Maß überprüfen, wo, wann, wie oft und wie lange
seine Titel verwendet werden. Zudem kann sich der Einzelne nicht
darum kümmern, dass er die Entlohnung für seine Leistung auch
tatsächlich erhält“.
Hier wird der Wahrnehmungszwang (§ 6) und Abschlusszwang (§ 11)
aktiv, dem die Verwertungsgesellschaften in Deutschland unterliegen.
Das heißt, „dass Verwertungsgesellschaften einerseits alle ihr von
ihren Mitgliedern übertragenen Rechte auch tatsächlich verfolgen
müssen, und andererseits keinem Komponisten, Textdichter oder
Musikverleger den Eintritt in die Verwertungsgesellschaft verwehren
dürfen, solange alle Kriterien zur Aufnahme erfüllt sind.“
Um
die eben beschriebenen Privilegien zu genießen, muss der einzelne
Musikschaffende Mitglied beid er GEMA werden. Das steht prinzipiell
allen KomponistInnen, TextdichterInnen, VertonerInnen von Texten oder
MusikverlegerInnen frei.
Kritik
an der GEMA – noch ganz ohne Internet
Zwar
kann jeder Mitglied werden, allerdings sind einige Kontexte dabei zu
beachten sind. Erstens ist die Mitgliedschaft in der GEMA nicht
kostenfrei. So muss eine Aufnahmegebühr
sowie ein jährlicher Mitgliedsbeitrag
an die GEMA bezahlt werden. Zweitens ist zu beachten, dass Mitglieder
ihre Rechte an die GEMA abgetreten haben. Sie müssen also auch dann
Lizenzrechte bei ihr einholen, wenn sie ihre eigenen Werke aufführen
oder auf Tonträgern veröffentlichen. Auch dafür sind dann Gebühren
zu zahlen. So ist drittens eine Mitgliedschaft erst dann sinnvoll
ist, „wenn eigene Musikstücke im laufenden Kalenderjahr in einem
bestimmten Umfang öffentlich aufgeführt, im Radio oder Fernsehen
gesendet oder von Dritten auf im Handel erhältlichen
(Bild-)Tonträgern veröffentlicht werden oder wenn solche
gewerblichen Verwertungen unmittelbar bevorstehen.“ Darauf weist
die GEMA selbst auf ihrer Website hin
. Des Weiteren gibt es drei Stufen der Mitgliedschaft
Des
Weiteren vertritt die GEMA zwar insgesamt 65.000
Mitgliedern (Komponisten, Textautoren und Musikverleger) sowie von
über zwei Millionen Rechteinhabern aus aller Welt.
Nur
ein kleiner Teil von Ihnen (3400) haben den Status einer "ordentlichen Mitgliedschaft". Die meisten (54000) sind
angeschlossene Mitglieder, die erst nach drei Jahren
"außerordentliche Mitglieder" werden können. Faktisch wird also
die einfache Mitgliedschaft schon geprüft, die tatsächliche erfolgt
erst Jahre später. So muss das Argument der GEMA als entkräftet angesehen werden, dass sie sich prinzipiell für die Rechte ALLER Urheberinnen und Urheber einsetze.
Zwischenfazit
Das
Problem, Urheberrechte durchzusetzen, ist also keines, das erst seit
der Etablierung des Internets virulent ist. Auch früher schon konnte
geistiges Eigentum in diesem Sinne „gestohlen“ werden. Denken wir
nur daran zurück, wie wir als Kind einmal den Lieblingssong mit dem
Kassettenrekorder aus dem Radio mitgeschnitten haben. Gleiches gilt
für unsere Elterngeneration, die gleiches mit dem Tonbandgerät
taten. Auch damals gab es schon die GEMA, die solchen
Urheberrechtsverletzungen einen Riegel vorschieben wollte (vgl.
Lerche 2008). Die anhaltenden Streitigkeiten zwischen der GEMA und
youtube sowie die Positionierung der Internetnutzerinnen und Nutzer,
aber auch der Musikschaffenden
zu ihnen, sind also als ein Beispiel für den Disput zu sehen, der schon immer nicht die prinzipielle Notwendigkeit einer Institution zur Durchsetzung der Urheberrechte, wohl aber das Vorgehen der GEMA dahingehend in Frage gestellt haben. Mit der Digitalisierung
und der Medienkonvergenz im Internet hat dieser Streit nur eine neue
Ebene erreicht, weil nun auch den Nutzerinnen und Nutzer eine
Plattform gegeben ist und grundsätzlich die Wirksamkeit des
deutschen Urheberrechts, das Grundlage für die Arbeit der GEMA ist,
in einem weltweiten Netzwerk in Frage gestellt werden muss.
Almira Puckel
Fußnoten